Führungsverhalten beeinflusst Qualität der Arbeit. Managementkonzepte in einer sich wandelnden Arbeitswelt.

Von Prof. Dr. Alfred-Joachim Hermanni

22.08.2019

Der nachstehende Artikel ist auch in dem Tagungsband zum "3. Kongress für Betriebliches Gesundheitsmanagement" der SRH Fernhochschule bei Springer erschienen. Hier der Link:   https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-658-30006-7_7


1 Einleitung
Egal, wo Sie Ihre beruflichen Zelte aufschlagen: „Der Mensch ist ein nachahmendes Geschöpf, und wer der Vorderste ist, führt die Herde.“¹   
¹ Von Schiller, 1877.

Davon kann ausgegangen werden, nachdem das Führungsmanagement für die Planung, Organisation und Kontrolle von firmenbezogenen Abläufen verantwortlich ist, um Güter oder Dienstleistungen auf Märkten anzubieten. Im funktionalen Sinne umfasst der Aufgabenbereich das Beschaffungs-, Produktions- und Absatzmanagement.

Frederik Winslow Taylor gelang es 1911 die Steuerung von Unternehmen anhand von Grundsätzen wissenschaftlicher Betriebsführung erstmals zu präzisieren. Er analysierte effiziente Produktionsprozesse unter Einsatz menschlicher Arbeitskraft aus umfangreichen Zeit- und Arbeitsstudien und präsentierte schließlich einen mustergültigen Ansatz der Unternehmensführung und -gestaltung.²  ² Vgl. Taylor, 1911.

Doch welche Managementkonzepte sind heute – abgesehen von denjenigen zur Erreichung des Total Shareholder Returns (TSR) und der Marktkapitalisierung des Unternehmens – gefragt? Wie steht es um die sogenannte Wissensarbeit und welche Anforderungen haben junge Manager an die Strukturierung und Organisation von Arbeit im Zeitalter der Digitalisierung?


2 Begriffliche Klärungen
Der Begriff der Führung wird weit gefasst, wobei dieser aus der Betrachtungsweise unterschiedlicher Wissenschaften debattiert werden kann. Im Rahmen der interdisziplinären Forschung haben sich insbesondere Soziologen, aber auch Philosophen, Politologen und Juristen mit Fragen der Führung und deren Rechtfertigung befasst.

Aus dem Blickwinkel der Arbeitsforschung wird Führung als unmittelbare, bewusste Einflussnahme der Führungskraft (des betrieblichen Vorgesetzten) auf die ihm unterstellten Personen in der Organisation definiert, um diese zielbezogen zu größerer Aktivität zu veranlassen, zu steuern und zu kontrollieren.

Die führende Rolle steht und fällt mit der jeweiligen Persönlichkeit und ihren angeborenen oder erlernten Fähigkeiten, Aufgaben zu erfüllen, Rechte und Pflichten auszuüben, die Richtung in einer Organisation vorzugeben und komplexe Zusammenhänge zu moderieren. In letzter Konsequenz entscheidet ein Leader, welche Mitwirkungs-, Mitentscheidungs- und Informationsrechte einzelne Mitarbeiter erhalten, welche Über- und Unterstellungsverhältnisse einschließlich Weisungsbefugnisse vereinbart werden und in welcher Höhe die einzelnen Budgets für ein Haushaltsjahr ausfallen.

Wenn man Unternehmerpersönlichkeiten des 20. und 21.  Jahrhunderts aufzählt, fallen darunter Namen von Spitzenmanagern wie Max Grundig (Elektronikkonzern), Fritz Henkel (Waschmittel), Dietmar Hopp (SAP), Peter Klöckner (Motoren- und Anlagenbauer Klöckner-Humboldt-Deutz), August Thyssen und Friedrich Alfred Krupp (Hochöfen, Stahl- und Walzwerke), Heinz Nixdorf (in den 1970er Jahren viertgrößter Computerhersteller der Welt), Ernst Werner Siemens (Elektrotechnik) und Reinhold Würth (Schrauben). Was bei näherer Betrachtung dieser Personen auffällt, ist, dass sie trotz unterschiedlicher Voraussetzungen gleichartige Eigenschaften bei der Ausübung der Spitzenposition (Oberleitung) einsetzten: Pioniergeist, Ideenreichtum, Integrität, Risikofreude, Selbstvertrauen, Disziplin und Leistungswillen. Durch ihr unternehmerisches Wirken leisteten die Big Leader einen gewichtigen Beitrag dazu, dass Made in Germany mit Definitionen wie Ansehen, Qualität, Stabilität, Verlässlichkeit und Wohlstand in Verbindung gebracht wurde.

Im Zuge der industriellen Revolution (1750 bis circa 1900) wurde der Begriff Management eingeführt, um die standardisierten Arbeitsprozesse der Massenproduktion in den Fabriken und Bergwerken organisieren zu können. Die Unternehmen wuchsen, Maschinen ersetzten menschliche Handarbeit und es wurden Führungskräfte eingestellt, die etwa für die Ablaufplanung, Qualitätskontrolle, Buchhaltung und für das Personal zuständig waren. Und im nächsten Schritt war es wohl auch eine wichtige und überfällige Debatte, als der Soziologe George Elton Mayo und Kollegen im Jahr 1932 eine Human-Relations-Bewegung initiierten. Sie deklarierten die Bedeutung des Respekts und der Wertschätzung des Managements vor der Leistung der Arbeiter.


3 Managementkonzepte
3.1 Klassische Führungsansätze
In der Literatur herrscht weitgehend Einigkeit darüber, dass klassische Führungsansätze obsolet sind. Die Vorstellungen, beispielsweise von Max Weber (1864–1920), der zwischen vier Stilen unterschied, stießen im Laufe der Zeit auf Ablehnung: patriarchalisch (eine alleinige Führung prägt, kontrolliert und repräsentiert in einer Art „Vaterrolle“ eine Wirtschaftseinheit, die autoritär geführt wird), autokratisch (eine Alleinherrschaft mit einer nahezu unbegrenzten Machtfülle, die großen Wert auf Hierarchien und absolutem Gehorsam legt), charismatisch (eine herausragende Persönlichkeit führt durch ihre Ausstrahlungskraft die Mitarbeiter, die unkritisch den Anweisungen folgen) und bürokratisch (hier wird großen Wert auf bürokratische Instanzen und Regeln gelegt, ohne dass eine beherrschende Führungsperson existiert).³  
³Vgl. Weber, 1922.

Folgt man dagegen Henri Fayol (1841–1925), dem Begründer der (französischen) Management- und Verwaltungslehre, so hat eine Führung fünf Aufgaben zu erfüllen: Planung, Organisation, Anweisung, Koordination und Kontrolle von Aufgaben.⁴  Kurt Lewin (1890–1947) plädierte im Gegensatz zu Weber und Fayol für drei klassische Führungsstile: autoritär (Vorgesetzte erteilen Anweisungen, die Untergebene ohne Widerspruch zu akzeptieren haben), kooperativ (auch demokratischer Führungsstil genannt, bei dem die Mitarbeiter in die Entscheidungsprozesse einbezogen werden) und Laissez-faire (Mitarbeiter treffen Entscheidungen selbstständig und verfügen somit über einen hohen Handlungsspielraum mit vielen Freiheiten).⁵  ⁴ Vgl. Fayol, 1929.  ⁵ Vgl. Lewin, 1963.

3.2 St. Galler Management-Konzept
Das St. Galler Management-Konzept⁶  wird im deutschsprachigen Raum für Führungskräfte als richtungweisend betrachtet. Dieses Modell unterscheidet zwischen drei Ebenen, die auf einer horizontalen wie vertikalen Integrationsebene aufeinander abzustimmen sind:

  • Normatives Management: setzt oberste Ziele eines Unternehmens einschließlich Leitbild, Prinzipien und Normen fest. Hier werden Unternehmenspolitik und Werte reglementiert.
  • Strategisches Management: stützt sich auf die vorgegebenen Unternehmenswerte, lenkt und modifiziert eine Organisation, um Erfolgspotenziale zu erschließen. Dabei werden zur Erlangung von Wettbewerbsvorteilen Strukturen und Managementsysteme angepasst sowie Probleme gelöst.
  • Operatives Management:  verwirklicht die normativen und strategischen Direktiven in kommunikations-, leistungs- und finanzwirtschaftlichen Prozessen. Auf der Operationsebene werden Aufträge mit dem übergeordneten Ziel umgesetzt, monetäre Ergebnisse zu erreichen.    ⁶ Vgl. Bleicher, 2011.


In deutschen Unternehmen sind vergleichbare Einteilungen anzutreffen, die einer systematischen Führung bedürfen. Dass die Arbeitsorganisation in Deutschland im Allgemeinen positiv geregelt ist, bestätigt eine Untersuchung der Work-Management-Plattform Asana aus September 2018 (vgl. Abb. 1). 75 Prozent der befragten Arbeitnehmer ohne Leitungsfunktion stimmten zum Zeitpunkt der Erhebung der Aussage voll und ganz bzw. eher zu, dass das Führungsteam in ihrer Firma verstehe, wie die Arbeit in der Organisation erledigt werde und wer die Arbeit tatsächlich mache.







Abbildung 1 Umfrage zu Führungskräften und Arbeitsorganisation in Unternehmen 2018
(Quelle(n): Asana; Statista ID 970743. 2019)


3.3 Leadership in den 2010er Jahren
Was erwartet man von einem modernen Leadership in diesem Jahrzehnt? Dazu hatte IBM im Jahre 2010 über 700 Human Ressource Officers befragt und drei Schlüsselqualifikationen ausgemacht:

  1. Gesucht werden kreative Führer, die in der Lage sind, in einem globalen Umfeld Chancen und Herausforderungen auf unterschiedliche Weise binnen kurzem zu erschließen. Sie müssen Richtungen vorgeben und die zunehmend auf ver- schiedene Standorte verteilte Belegschaft motivieren können. Kreativität wurde als die wichtigste Führungseigenschaft innerhalb der nächsten fünf Jahre (bis 2015) eingestuft.
  2. Gefragt sind flexible Eigenschaften und Fähigkeiten, um den Anforderungen eines sich ändernden Marktes und eines turbulenten Umfeldes schleunigst gerecht zu werden. Schnelle Wege, um etwa laufende Prozesse zu vereinfachen, zur elastischen Abstimmung der Rahmenkosten sowie um kurzerhand Talente einstellen zu können.
  3. Weiterhin die Nutzung der kollektiven Intelligenz. Die Teams müssen noch effektiver zusammenarbeiten, das vorhandene Wissen muss institutionalisiert, entwickelt und gepflegt werden. Schließlich sind neue Wege zu beschreiten, damit Menschen innerhalb und außerhalb einer Organisation zum Informationsaustausch miteinander verbunden werden.⁷   ⁷Vgl. IBM Corporation, 2010.  


3.4 Situational Leadership
In der Gegenwart verwischen sich die Grenzen zwischen den wissenschaftlichen Lehren, weil der Führungsstil abhängig von der jeweiligen Situation und Aufgabenstellung differiert. Nach der Theorie des „situativen Führens“ (situational leadership) wird je nach aktuellen Rahmenbedingungen, unter denen Vorgesetzte und Mitarbeiter operieren, ein mehr aufgabenbezogenes oder mehr personenbezogenes Führungsverhalten seitens der Vorgesetzten praktiziert.

Für eine entsprechende Entscheidungsfindung sind Faktoren wie persönliche Beziehungen zwischen Leader und Geführten, Schwierigkeitsgrad der Aufgabenstellungen sowie Position des Vorgesetzten von hoher Relevanz.⁸ Infolgedessen überdauert kein ausschließlich patriarchalischer oder charismatischer Stil, sondern vielmehr eine Kombination mannigfaltiger Leadership-Methoden. Genau darum entwickelt jeder Unternehmenslenker seinen eigenen, individuellen Führungsstil, der von ethisch-moralischem Verhalten, Wertschätzung und Authentizität geprägt sein sollte. In diesem Kontext ist der Blick auf Chester Barnard interessant, der bereits 1938 darauf hinwies, dass Organisationen kooperative Systeme sind und deshalb mit Anstand geführt werden sollen.⁹

⁸ Vgl. Fiedler, 1967; Hersey & Blanchard, 1982.  ⁹ Vgl. Barnard, 1938.


3. 5 Neue Formen der Strukturierung und Organisation von Arbeit
Wertestudien, bspw. des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales oder der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin ¹⁰, nehmen Abstand von einer Autoritätshaltung der Führungskräfte (Befehlsgeber) hin zu einem Dialog auf Augenhöhe. Anders ausgedrückt: Die Arbeitsbeziehungen wurden humanisiert und hierarchische Strukturen nach dem "Command-and-control"-Prinzip aufgegeben, damit sich die für die Arbeitsprozesse erforderliche Kreativität und Flexibilität einschließlich Verantwortungsbereitschaft einstellt.

¹⁰ Vgl. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, 2018.

Weshalb ist das wichtig? Die Generation Y (auch Millennials genannt)¹¹  hat hohe Erwartungen hinsichtlich der eigenen Arbeitstätigkeit. Es ist ihnen essenziell, dass sie weitgehend eigenverantwortlich ihre Aufgaben gestalten können – auch im Sinne einer zeitlichen und örtlichen Mobilität der Arbeit. Zusätzlich zum Freiraum bei der Arbeitsgestaltung und der Flexibilität in puncto Arbeitszeit (Work-Life-Balance) erwarten sie berufliche Entwicklungsmöglichkeiten und ein adäquates Entgelt für geleistete Arbeit.

¹¹ Es handelt sich um die Generation, die im Zeitraum der frühen 1980er bis zu den späten 1990er Jahren geboren wurde.

Die Mitarbeiter sehen sich primär als Menschen unter ihresgleichen und weniger als Arbeitnehmer und insofern wollen sie sich selbst managen und steuern. Ihr Anspruch an die Führung beinhaltet Transparenz und Beteiligung bei Managemententscheidungen auf allen Ebenen, etwa durch Mitarbeitergespräche oder durch Teamwork im arbeitsteiligen Produktionsprozess.

Zur Beurteilung der Gesamtsituation ist es von Relevanz, dass veränderte Arbeitsinhalte hinzugekommen sind, die auf die physische und psychische Gesundheit, Motivation und Qualifikation und somit auf die Leistungen von Arbeitnehmern eine Wirkung ausüben.¹² Es handelt sich um die Generation, die im Zeitraum der frühen 1980er bis zu den späten 1990er Jahren geboren wurde.   Bestätigt wird dieser Befund durch ein Literaturverzeichnis der Bundesanstalt für Arbeitsschutz- und Arbeitsmedizin, dass Arbeitsformen wie hohe Flexibilitätsanforderungen, atypische Arbeitszeiten und Mangel an Planbarkeit als gravierende Stressoren für Wohlbefinden und Gesundheit der Mitarbeiter auftreten.¹³

¹² Vgl. Jürgens, Hoffmann, Schildmann, 2017; Köper, & Richter, 2016. ¹³ Vgl. Rothe, Adolph, Beermann, Schütte, Windel, Grewer, Formazin, 2017.

Bei den Digital Natives¹⁴  verlieren die klassischen Steuerungselemente zunehmend an Bedeutung, weil die Mitarbeiter auf Vertrauensbasis beschäftigt sein wollen (vgl. Abb. 2). Dagegen gewinnt die Vernetzung der Mitarbeiter untereinander sowie eine hohe Technik- und Medienkompetenz an Gewicht. Die Erwartungen der Digital Natives schließen die Ansprüche der Generation Y ein und sehen zudem weitere Privilegien vor: Nutzung neuer Technologien am Arbeitsplatz, schnelle Kommunikationswege, eine kompetente Feedback- und Fehlerkultur innerhalb des Unternehmens und flache Hierarchien. ¹⁴ Personen, die in der digitalen Welt aufgewachsen sind, wobei diese sich von der Geburtsjahrgängen mit der Generation Y decken.

Abbildung 2: Strukturierung und Organisation von Arbeit „Beschäftigung auf Vertrauensbasis“
(Quelle: Hermanni, A.-J.: 2019)

Für die Führungskräfte zog dieser Wandel Konsequenzen nach sich, vor allem durch Machtverlust und durch die Umstellung auf andersartige Kontrollmechanismen. Zugleich haben sich durch die Digitalisierung die Kommunikationsmittel zwischen Führung und unterstellten Personen verändert: aus analogen Kommunikationsmitteln (z.B. schriftliche Anweisung in Form einer Notiz) wurden digitale (z.B. Online-Konferenz).


3.6 Wissensarbeit
Die Vorstellungen der Generation Y/Digital Natives zum eigenverantwortlichen Handeln entsprechen der Einschätzung des Managementdenkers Peter Ferdinand Drucker, der die Entwicklung zu einer Wissensgesellschaft bereits 1957 prognostiziert hat.¹⁵  Die Forschung geht heute davon aus, dass die Produktivität von Wissensarbeit eines der wichtigsten Ziele im 21. Jahrhundert ist. In diesem Sinne steigt der Qualifikationsdruck in den Unternehmen und die individualisierte Förderung und Weiterbildung der Mitarbeiter wird zur fundamentalen Führungsaufgabe.
¹⁵ Vgl. Drucker, 1957.

Gerade Wissensarbeit identifiziert sich nicht durch Fleißarbeit oder Produktionsroutine, sondern durch Resultate. Die Mitarbeiter stehen hier nicht am Fließband und produzieren Fahrzeuge oder gegenständliche Dinge. Ganz im Gegenteil benötigen Sie geistige Freiräume, um effektive Ergebnisse und Innovationen erzielen zu können. Führungskräfte genießen das Vertrauen der Organisation und müssen dieses nicht täglich durch unzählige Arbeitsaufträge an die Mitarbeiter oder durch dauernde Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen unter Beweis stellen. Schon Douglas McGregor bezweifelte 1960, dass Arbeitnehmer zur Pflichtvernachlässigung neigen, wenn sie nicht mehr von einem Unternehmen pedantisch kontrolliert werden. Ganz im Gegenteil sah er durch selbstbestimmtes Arbeiten und flache Hierarchien eine Chance, die Mitarbeiter nachdrücklich zu motivieren.¹⁶   ¹⁶ Vgl. McGregor, 1960.

Wertschöpfung wird heutzutage begrifflich anders bestimmt und die Kontrolle darüber wird durch Software-Programme ausgeführt. Die Leistungen der einzelnen Mitarbeiter werden nicht mehr durch Zeiterfassungssysteme in den Organisationen erfasst, sondern durch Workflow-Tools, die Ziele vorgeben und die aktuellen sowie geplanten Werte in Datensätzen festhalten.


4 Gestaltungsspielräume von Managern
4.1 Internationale Standards und zentrale Führungsmerkmale
Doch wie weit reicht der Gestaltungsspielraum eines Managers und welche Entscheidungen darf er selbstverantwortlich treffen? Internationale Standards liefern hierzu Vorgaben, wobei zwischen drei Managementebenen unterschieden wird:

  1. Top Management (Eigentümer und Geschäftsführung), verantwortlich für strategische Entscheidungen
  2. Mittlere Führungsebene (Hauptabteilungs- und Ressortleiter) mit überwiegend anordnenden Funktionen
  3. Untere Führungsebene (Abteilungsleiter bis Meister bzw. Referent) mit ausführenden Aufgaben.

Unterschiedliche Zuständigkeiten erfordern auch unterschiedliche Wert- und Machtpotenziale, um auf das Verhalten oder Denken von unterstellten Personen einwirken zu können. Betrachtet man das Top Management, so stechen hier zwei zentrale Merkmale besonders hervor:

  • Wertearbeit: Einen erfolgreichen Top-Manager zeichnet aus, dass er permanent Verantwortung für sein „Aufgabe“ übernimmt. Dementsprechend bleibt er seiner Geschäftsidee treu, vertraut seinem Masterplan und gibt einen eingeschlagenen Kurs keineswegs leichtfertig auf. Gleichwohl erweist er sich als flexibel bei veränderten Rahmenbedingungen des Marktes, handelt zeitnah und nimmt sich die Freiheit, auf dem Weg zum wirtschaftlichen Durchbruch Fehler zu begehen, die im Nachhinein korrigiert werden.
  • Sich treu bleiben: Wer ganz oben ankommen will, ignoriert vor allem das „Geht nicht!“ und betrachtet sein Engagement als Nutzen bringende und zielführende Funktion. Berufliche Aufgabe der Unternehmensführung ist es, sich für Kunden, Mitarbeitern, Geldgebern und der Gesellschaft richtungweisend zu engagieren und deren widerstreitende Interessen zum Ausgleich zu bringen. Vor allem muss die Unternehmensführung dem Kunden dienen und die Bedürfnisse der Kunden bestmöglich erfüllen. ¹⁷    ¹⁷ Vgl. European Management Forum, 1973.

Um herauszufinden, welche Erwartungen seitens der Marktteilnehmer bestehen, sind Manager gut beraten, internen und externen Rat einzubeziehen. Dadurch können wirtschaftliche Ziele mithilfe des Außendienstes anhand von Schlüsselkunden (externes Feedback), über die Hierarchieebenen einer Wirtschaftseinheit (Rückkoppelung mit Mitarbeitern) oder nach der aktuellen Konstellation (Qualitätsstandards, Lebenszyklus von Produkten, konjunkturelle Entwicklung) definiert und verordnet werden.


4.2 Hard Skills im 21. Jahrhundert
Einigkeit besteht in der Wirtschaft weitgehend darüber, dass folgende Hard Skills im 21. Jahrhundert erforderlich sind, um Managementaufgaben erfolgreich auszuüben:

  • Führung erfordert den Umgang mit Finanzwissen und Grundkenntnisse des Vertragswesens. Gerade ein Topmanager muss die Fähigkeit mitbringen, Bilanzen sowie Gewinn- und Verlustrechnungen lesen und beurteilen zu können. Ähnliches gilt für die Einschätzung fremder und den Rohentwurf eigener Verträge. Zu den Aufgaben eines Topmanagers zählt, dass er bei Vereinbarungen kritische Sachverhalte erkennt und geschäftliche Positionen vorgibt, die in Verträge einfließen sollen.
  • Von High Potentials wird erwartet, dass sie ihren Teilmarkt verstehen sowie Angebot und Nachfrage einschätzen können. Dabei müssen vor allem Stärken und Schwächen firmeneigener und fremder Angebote beherrscht sowie zukunftsträchtige Strategien für die Unternehmensplanung entworfen werden.
  • Ein Leader bricht festgefahrene Strukturen auf, zeigt Entschlusskraft für eine Sache oder Vision, polarisiert gegebenenfalls, damit Lösungen gefunden werden. Er muss inspirieren, die Belegschaft mitreißen und somit Führungsqualitäten unter Beweis stellen. Erforderlichenfalls auch unangenehme Dinge erledigen und schwerwiegende Entscheidungen fällen.
  • Erforderlich ist für jeden Spitzenmanager, in regelmäßigen Intervallen eine Liste von betrieblichen Hauptleistungsträgern und von Mitläufern aufzustellen. Wer zukunftsträchtige Veränderungen durchführen will, sollte im Firmeninteresse Hauptleistungsträger fördern und Mitläufer entweder mobilisieren oder entlassen, bevor es zu einem bösen Erwachen kommt.


5 Big Brother decides too
Experten für Strategien in unsicheren, volatilen Umfeldern wie Rita Gunter McGrath gehen davon aus, dass das Zeitalter der Empathie angebrochen ist.¹⁸  McGrath sieht Unternehmen derzeitig in der Pflicht, dass sie den Menschen ganzheitliche und sinnvolle Erfahrungen ermöglichen und ihnen Wertversprechen geben. Bei diesem Vorgehen sind Manager nach ihrer Ansicht auch dafür verantwortlich, für ihre Mitarbeiter Communities zu schaffen. Daniel Goleman hatte schon 1998 in einem Beitrag über emotionale Intelligenz am Arbeitsplatz die Frage gestellt: „What makes a great leader?“ und auf die wichtige Fähigkeit hingewiesen, eigene und fremde Gefühle wahrzunehmen und zu verstehen.¹⁹  John D. Mayer und Peter Salovey hatten den Terminus Emotionale Intelligenz im Jahr 1990 eingeführt.
¹⁸ Vgl. Gunter McGrath, 2014.  ¹⁹ Goleman, 1998.

Von einer Warte des zeitgemäßen Managementstils aus betrachtet, ist diese Einschätzung sicherlich richtig und wird in zahlreichen Unternehmen umgesetzt. Aber die Führungskraft im 22. Jahrhundert wird eine andere sein: Sie wird sich nicht nur mit anderen Menschen abstimmen, sondern auch mit selbstlernenden Maschinen (Computer oder Roboter), die vollkommen selbstständig agieren und u.a. auch die Leistungen der Führungskraft beurteilen werden. Algorithmen werden der Maschine mitteilen, wie diese Schritt für Schritt Aufgaben löst – allerdings bezogen auf einen Fachbereich, für den sie programmiert wurde. Sie wird dabei keine Emotionen bei Entscheidungen zeigen, weil das Bewusstsein und menschliche Verhaltensweisen fehlen.

Grundlegende Entscheidungen bei Organisationen werden schließlich im Triumvirat getroffen: Die gemeinsamen Interessen vertreten – paritätisch besetzt – eine Führungskraft, eine Arbeitnehmervertretung und eine künstliche Intelligenz, die auf Big Data-Material zurückgreifen und die riesigen Datenmengen selbstständig auswerten und strukturieren kann. Dadurch wird die Maschine in die Lage versetzt, Erkenntnisse zu gewinnen, auf deren Grundlage nahezu „fehlerfreie“ Entscheidungen getroffen werden, um das Unternehmen strategisch auszurichten. Hinzu kommt, dass die Maschine den Menschen Anforderungen aus einer Datenbank stellen und Tipps geben kann zur Lösung von Konfliktpotenzial.

Die massenhafte Verbreitung neuer Technologien, intelligenter Automatisierungsprozesse und die kommunikative Vernetzung zwischen Arbeits- und Privatwelt siedeln im 22. Jahrhundert die Führungskraft in der Rolle eines vermittelnden Managers (Moderators) an. Zu seiner Hauptaufgabe zählt die Moderation der Interessen des Top-Managements, der Arbeitnehmervertretung (bzw. des Mitarbeiters) und der künstlichen Intelligenz, die als einziges Mitglied des Triumvirats beurteilen kann, welchen Nutzen die massenhaft gespeicherten Daten für ein Unternehmen hat. Die Führungskraft wird letztlich auch eine Entscheidung treffen und verantworten müssen (vgl. Abb. 3).








Abbildung 3 Das Triumvirat der Entscheidungsfindung innerhalb von Organisationen im 22. Jahrhundert
(Quelle: Hermanni, A.-J.: 2019)


Vor diesem Entscheidungsdilemma stehen heute schon Ärzte in den USA, die den Supercomputer Watson von IBM zur individuellen Krebstherapie einsetzen. Watson ermöglicht Ärzten neue Einsichten in das Genom von Tumoren und kann so Patienten eine maßgeschneiderte Behandlung empfehlen. Doch wer trifft die endgültige Entscheidung zur Therapie, wenn Arzt, Patient und Watson aufeinandertreffen?

Die substanzielle „Überlegenheit“ der künstlichen Intelligenz verkompliziert aber die Situation für die Führungskraft. Sie kann entweder die Omnipotenz und Autonomie der Maschine anerkennen, wodurch ihre Kontrollfunktion über den Computer beziehungsweise Roboter hinfällig wird. Oder sie bezweifelt oder verweigert gar die Entscheidung der Maschine, was die künstliche Intelligenz wiederum überflüssig macht. Fakt ist: Kein Mensch möchte im Extremfall für das Handeln einer künstlichen Intelligenz mit negativen Folgen verantwortlich sein.


6 Zusammenfassung und Ausblick
Berücksichtigt man all diese Aspekte, so setzt Führung ein gehöriges Quantum an Selbstmanagement voraus. Idealerweise zählen dazu:

  • Selbstständige Planung und Organisation der eigenen Entwicklung, weitgehend unabhängig von externen Einflüssen
  • Motivation der eigenen Person mit dem Ziel, ein erfülltes und zufriedenes Leben zu führen
  • Besonnenheit und Entscheidungsfreudigkeit in Belastungssituationen
  • Lernfähigkeit, intellektuelle Leistungsbereitschaft (Intelligenz) gepaart mit individuellen Eigenschaften wie Ausdauer, Fleiß, Neugier und Willen
  • Erfolgskontrolle durch Feedback des persönlichen und beruflichen Umfelds.

 

Alles ist möglich, wenn man dabei andere Menschen in Überlegungen und Strategien einbezieht sowie motiviert und die Bodenhaftung nicht verliert. Manche Führungskraft versprüht wie selbstverständlich eine positive Eigendynamik, kann Kräfte bei Mitarbeitern freisetzen, trifft autark willkommene wie unliebsame Entscheidungen, zieht Entschlüsse bis zu ihrer Vollendung durch und ist darauf eingestellt, erzielte Gewinne an die Shareholder auszuzahlen.

Wie kann ich einen Führungserfolg messen?, werde ich oft von Managern gefragt. Meine Standardantwort lautet: durch Kundenzufriedenheit, finanziellen Gewinn und Mitarbeiterwohlgefallen. Was den Unternehmenserfolg anbelangt, müssen erstens die Kunden mit den angebotenen Produkten oder Dienstleistungen absolut zufrieden sein, zweitens muss der Gewinn die Planvorgaben übertreffen und drittens müssen sich die Mitarbeiter mit den Unternehmenszielen identifizieren können und diese intern wie extern engagiert kommunizieren.

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Literatur

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