Fernsehnachrichten für Deutschland. Eine amerikanische Ausgabe?

Von Prof. Dr. Alfred-Joachim Hermanni

1989















TV-Talkshow „Fernsehnachrichten für Deutschland – Forderung und Möglichkeiten“ am 21. Oktober 1988 im Rahmen der „Münchner Medientage“ (im Bild v.l.n.r.): Matthias Hardt (Geschäftsführer bei der Deutsche Presse-Agentur), Karlheinz Mose (Fernsehkritiker der Programm-Zeitschrift Hörzu), Klaus Liepelt (Gründer der Meinungsforschungsinstituts infas), Alfred-Joachim Hermanni (als Chefredakteur von Eureka TV moderierte Hermanni die Diskussion), Axel Thorer (Stellvertretender Chefredakteur bei „Bunte“) und Martin Schulze (ARD-Chefredakteur).  

In der rund zweistündigen Sendung wurden primär folgende Themen erörtert: Qualitätsmaßstäbe für Nachrichtenproduktionen, Nutzbarkeit verschiedener Nachrichtenquellen, Nachrichten als Unterhaltungselement und Nachrichten zwischen Information und Sensation. 


Auszugsweise werden nachstehen einige Passagen aus dem Wortprotokoll wiedergegeben, damit der Leser sich einen Eindruck von der Brisanz der Themenstellungen und von ihrer Weitläufigkeit sowie Vielseitigkeit verschaffen kann. Zum Nachlesen in: Hermanni, A.-J. Hermanni (1989). Fernsehnachrichten für Deutschland. Eine amerikanische Ausgabe? Bonn: Mittelstands-Verlagsgesellschaft. S. 93-110.




Hermanni: Herr Schulze, starten wir doch gleich einmal mit einem heißen Thema, mit einer bedenklichen These, die da stammt von dem STERN-Gründer Henri Nannen, der sagt: „Journalismus heißt, die Welt zu verändern“. Müssen wir Journalisten denn aufgrund unserer beruflichen Funktion die Welt verändern?

Schulze: Das sehe ich ganz anders. Wenn jemand die Welt verändern will, dann soll er nicht in den Journalismus, sondern in die Politik gehen. Journalismus, und wir reden hier von Nachrichtenjournalismus, heißt für mich die Ereignisse dieser Welt, die Entwicklungen zu begleiten, das, was geschieht, darzustellen und nicht, Politik zu machen. Ich gebe zu, dass es ein schmaler Grat ist, auf dem sich der Journalist bewegt, denn die Berichterstattung über Ereignisse löst gelegentlich politisches Handeln aus. Allerdings, wenn jemand die Nachrichten benutzt, um etwas zu ändern, oder um in Form von Nachrichten Postulate oder eigene politische Überzeugungen an die Öffentlichkeit zu bringen, dann ist das ein Missbrauch des Journalismus.

Hermanni: Herr Hardt, Sie kommen von einer großen Agentur, Sie müssten wissen, ob Nachrichten in der Welt manipuliert werden. Ich gehe mal davon aus, ich unterstelle mal, dass die Deutsche Presse-Agentur Vorsichtsmaßnahmen getroffen hat, damit im eigenen Korrespondentennetz möglichst keine Nachrichtenmanipulationen passieren können. Aber haben Sie denn Erkenntnisse, dass Nachrichten heutzutage noch manipuliert werden?

Hardt: Sicherlich werden Nachrichten manipuliert und es ist die Aufgabe der Journalisten, darauf nicht hereinzufallen. Grundvoraussetzung, das tun zu können, ist ein solides journalistisches Handwerk, ein großes Wissen, die Möglichkeit, Dinge zu durchschauen. Das ist das, was wir unseren jungen Kollegen mitgeben.

Hermanni: Welche Vorsichtsmaßnahmen gegen journalistische Manipulationen kann man prinzipiell aus der Sicht des Zeitschriftenmachers treffen, Herr Thorer?

Thorer: Also, für mich ist das Problem von Herrn Hardt ganz falsch angepackt oder von Ihnen falsch gefragt worden. [...] Wir müssen die Welt verändern. Ich will Ihnen ein konkretes Beispiel nennen.

Wir machen uns, wir Journalisten vom Fernsehen wie von der schreibenden Zunft machen uns zu Hampelmännern, zu öffentlichen Hampelmännern, indem wir uns neben die Geiselnehmer, Drygowski* oder wieder andere hieß, uns daneben stellen und uns zu Handlangern ihrer Show machen. Also mir da sofort eingefallen, dass ich gesagt habe: Jetzt nehme ich einen Baseballschläger mit zu dem Interview, da gehe ich auch hin. Und dann anschließend ist es auch meine Pflicht, mich nicht zu dem Handlanger von dem zu machen und dem auch noch die Show zu liefern, sondern hinter meinem Notizblock den Baseballschläger herauszuholen, dem über die Birne zu knallen und zu sagen: So geht es nicht.

  • * Die Geiselnahme von Gladbeck war ein aufsehenerregendes Verbrechen in der Bundesrepublik Deutschland und den Niederlanden im Sommer 1988, in dessen Verlauf drei Menschen ums Leben kamen. Im Anschluss der Tat wurde am Verhalten von Polizei und Berichterstattern massive Kritik geübt und eine gesellschaftliche Debatte über Verantwortung und Grenzen des Journalismus angestoßen. Während ihrer Flucht nahmen die Täter (Hans-Jürgen Rösner, Dieter Degowski, Marion Löblich) mehrmals Geiseln und fuhren mit ihnen durch das nordwestliche Deutschland sowie in die Niederlande. Das Verhalten der Journalisten, die durch ihre große Nähe zum Geschehen die Arbeit der Polizei behinderten, entfachte später eine intensive öffentliche Debatte.

Hermanni: Herr Mose, als Fernsehkritiker beurteilen Sie regelmäßig, und das seit Jahren, TV-Sendungen. Die HÖRZU publiziert allwöchentlich eine Fernsehkritik. Plädieren Sie dafür, dass in Nachrichtensendungen die Informationen interpretiert oder gar kommentiert werden?

Mose: Also, ich glaube – und das aus Kenntnis von vielen Briefen von Zuschauern, die auch bei mir über den Schreibtisch laufen –, dass der Zuschauer zunächst einmal die Nachricht haben will und eine strenge Trennung, wie es immer gutes Handeln und gutes Gesetz ist, zwischen Nachricht und Kommentar. Der Zuschauer erkennt eine solche Trennung zu schlecht und gibt dann der Nachrichtensendung einen Stempel. Die ist dann rechts oder links; meistens ist sie links.

Hermanni: Darf ich mal kurz einhaken, "rechts oder links" - meinen Sie, politisch rechts oder links?

Mose: Politisch rechts oder links, ja.

Hermanni: Herr Liepelt, sind denn Nachrichtensendungen rechts oder links gestrickt, wie Herr Mose das eben unterstellt hat?

Liepelt: Wenn der Zuschauer das merkt, dass man Nachrichtensendungen rechts oder links gestrickt hat, dann fühlt er sich verladen. Von der Nachricht erwartet der Zuschauer zunächst einmal, dass sie stimmt. Wenn Sie das Image hätten, ein linker oder rechter Sender zu sein, würden die Leute wegschalten, die sich damit nicht infizieren wollen; diejenigen, die sie selbst als links oder rechts führen, schalten auch weg, weil sie sagen: Wir möchten uns objektiv informieren.