Duales Rundfunksystem.

Von Prof. Dr. Alfred-Joachim Hermanni

2022




Auszüge aus dem Buch: Hermanni, Alfred-Joachim (2008). Medienpolitik in den 80er Jahren. Machtpolitische Strategien der Parteien im Zuge der Einführung des dualen Rundfunksystems.  Wiesbaden: VS-Verlag



Vorwort

Die elektronische Medienlandschaft befindet sich in einem kontinuierlichen markt- und ressourcenorientierten, programminhaltlichen (kulturellen) und technischen Wandel. Forciert wurde diese Entwicklung in den 80er Jahren durch die Einführung des dualen Rundfunksystems in der Bundesrepublik Deutschland sowie durch die Digitalisierung der Video- und Fernsehtechniken und durch das Internet.

Dem medienpolitischen Einigungsprozess zur Neuordnung des Rundfunkwesens in Deutschland (Staatsvertrag vom 3. April 1987) gingen seinerzeit lange und schwierige Auseinandersetzungen zwischen den Volksparteien SPD und CDU/CSU voraus: Medienpolitik mutierte zur Machtpolitik, wobei hauptsächlich um personelle, programminhaltliche und standortpolitische Einflüsse auf die zukünftige Fernsehlandschaft gerungen wurde.

Zur damaligen Situationsbeschreibung hier einige Pressestimmen

  • „WDR an Haupt und Gliedern reformieren“ [Westfälisches Monatsblatt, Nr.1, Januar 1980]
  • „ZDF - ein Selbstbedienungsladen für die Unionsparteien?“ [Funk Report 5/80, 25. April 1980]
  • „SPD-Verhinderungsprogramm“ [Die Zeitung, Nr. 4/1981]
  • „Die SPD spielt Schutzpatron“ [Christ und Welt/Rheinischer Merkur, 3. April 1981]
  • Schmidt will in der Medienpolitik nicht entscheiden“ [Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13. Mai 1981]
  • „ARD-Vorsitzender kritisiert die CDU/CSU“ [Frankfurter Rundschau, 4. Oktober 1982)]
  • „Die geprügelten Medien“ [Die Zeit, 18. Februar 1983]
  • „Natürlich mitmischen. Dramatischer Schwenk in der SPD-Medienpolitik“ [Der Spiegel, Nr. 8, 20. Februar 1984]
  • „Im Konflikt mit der Verfassung. Wie Unionsländer das private Fernsehen fördern...“ [Die Zeit, 18. Mai 1984]
  • „Wenn Sozialdemokraten den Teufel taufen“ [Vorwärts, 24. Mai 1984]
  • „(Un-)heimliche Pläne der SPD. Der WDR als Zentrum eines machtpolitischen Medienkalküls“ [Münchner Merkur, 18. Oktober 1984]
  • „Börners Nein wirkte wie ein Tiefschlag“ [Die Welt, 19. Dezember 1984]
  • „Medienpolitik: Poker um Einfluss und Macht“ [Medien-Kritik, Nr. 1/2, 5. Januar 1987]
  • „Die schwarzen Schirmherren“ [Stern, Nr. 18, 23. April 1987]
  • „Die Medien-Wende der SPD. In letzter Minute auf den Zug aufgesprungen“ [Süddeutsche Zeitung, 21. September 1987]
  • „Wir müssen was für Richard tun. Ein Nachruf auf die Medienpolitik der SPD“ [Die Zeit, 15. Januar 1988]
  • „Bisse in die Gönnerhände. Private Fernsehveranstalter frustrieren heute viele Unionspolitiker“
    [Christ und Welt/Rheinischer Merkur, 7. Oktober 1988]
  • „Wie SPD-Sympathisanten in der ARD Macht erobern und Meinung machen“ [Welt am Sonntag, 6. August 1989]

Obwohl die früheren Bundeskanzler Helmut Schmidt (1974- September 1982) und Helmut Kohl (Oktober 1982-1998) dem Fernsehen mit großen Vorbehalten gegenüberstanden, setzten beide doch dieses Massenverbreitungsinstrument bevorzugt ein, um im Amt Bestätigung zu finden bzw. um bei politischen Wahlkämpfen Aufmerksamkeit zu erzielen. Sie wussten, dass politische Informationen primär vom Fernsehen in die Wohnstuben transportiert werden, auch wenn Schmidt das elektronische Massenmedium für „oberflächlich“ hielt und im Frühsommer 1978 für einen fernsehfreien Tag pro Woche plädierte. In der Regierungserklärung des BK Schmidt in der Sitzung des Deutschen Bundestages am 24. November 1980 ließ er keinen Zweifel an seiner negativen Grundhaltung aufkommen: „Meine persönliche erhebliche Skepsis gegenüber der zunehmenden Fernseh-Berieselung der Heranwachsenden und gegenüber der Beeinträchtigung des Familienlebens durch die elektronischen Medien will ich Ihnen nicht verschweigen. Ich habe mich über die breite Zustimmung gefreut, die ich in diesem Punkt aus beiden Kirchen erhalten habe."

Im Zuge der Einführung des dualen Rundfunksystems wurden Grundfragen der Medienpolitik diskutiert, die heute noch von hoher aktueller Bedeutung sind, z.B.: „Der Einfluss des Massenmediums Fernsehens auf Politik und Parteien“, „Die Parteienferne des Rundfunks“, „Die Macht der Rundfunkgremien“, „Die Kontrollaufsicht über die neuen und grenzüberschreitenden Medien“, „Die Entwicklung der Rundfunkkommunikations-technologien“, „Der Wettbewerb elektronischer Medien“ und „Die Zuständigkeit Europas bei Medienrechtsfragen“.

Einige medienpolitische Kernfragen wurden seit den 80er Jahren gelöst, jedoch stehen noch überfällige Antworten auf bekannte Problemstellungen aus, z.B.: „Die Kontrollaufsicht über die neuen und grenzüberschreitenden Medien“, „Rechtsfragen des Internet“, „Medienwettbewerb und Konzentration“, „Die Parteienferne des Rundfunks“, „Die Fernsehzukunft im Web 3.0“. In diesem Zusammenhang befürchten kundige Beobachter der Rundfunklandschaft, dass die gegenwärtige Politik das Interesse an der elektronischen Medienbranche verloren hat.

Zweifelsohne kann konstatiert werden, dass sich Bund und Länder in den 80er Jahren wesentlich intensiver mit den Entwicklungen der Medienbranche auseinandergesetzt haben als es mittlerweile der Fall ist.